Artenvielfalt im Schlosswald – Jahreskalender 2021 mit Fotographien
Der Schlosswald von Hungen
Auf Fotografien aus dem 19. Jahrhundert ist deutlich zu erkennen, dass die an das Schloss Hungen angrenzenden, hinter der alten Stadtmauer gelegenen Wallanlagen nicht bewaldet waren. Zu sehen sind hier einzelne Baumanpflanzungen. Damals wurden Berg- und Spitzahorn in Reihen gepflanzt. Des Weiteren wurden Linden in Gruppen gesetzt. Am Bahndamm wurden einzelne Eichen gepflanzt. An den Wegrändern wurden zusätzlich als Heckenpflanzen Feldahorn und Hainbuche eingebracht. Ob die mächtigen Eschen damals gepflanzt wurden oder als Samen von der nahe gelegenen Horloff aus einflogen, ist heute nicht mehr erkennbar.
Da die Anpflanzungen auf den Wallanlagen, anders als der Park an der Friedberger Straße, nicht weiter gepflegt wurden, entwickelte sich dort schnell ein geschlossener Wald. Einen besonderen Beitrag dazu leisteten die sich reichlich verjüngenden Ahornbäume.
Die hessische Biotopkartierung in den 1980er Jahren kartierte den Schlosswald bereits als Edellaubbaumtyp. In den vergangenen Jahren erkannte der Gesetzgeber den Wert dieses Biotoptyps. Daher wurde dieser Waldtyp neu in die Liste der gesetzlich geschützten Biotoptypen aufgenommen. Somit genießt der Schlosswald bereits ein Schutzstatus, ohne dass hier eine besondere Schutzgebietsausweisung vorliegt. Mit diesem Kalender soll auf den besonderen Wert des Schlosswaldes für die Artenvielfalt aufmerksam gemacht werden.
Anpassungen im Schlosswald
Auch der Schlosswald unterliegt den durch den Klimawandel verursachten Belastungen von Wäldern. So sind in den extrem warmen und trockenen Sommern von 2018 bis 2020 zahlreiche ältere Bergahorn-Bäume abgestorben. In der Naturverjüngung, zuvor geprägt vom jungen Bergahorn, übernehmen andere Baumarten die Führung. Hier sind es Spitz- und Feldahorn, Vogelkirsche, Hainbuche, Winterlinde und Walnuss, die den Wald der Zukunft prägen werden. Die an Trockenheit gut angepasste Esche erkrankt zunehmend am Eschentriebsterben. Einige starken Eschen sind bereits abgestorben. Es bleibt zu hoffen, dass gesunde Eschen, die als Höhlenbäume eine wichtige Funktion im Wald einnehmen, noch einige Jahre erhalten bleiben. Die am Bahndamm befindlichen Eichen (Titelbild), kommen mit den aktuellen Wetter¬verhältnissen noch sehr gut zurecht.
Die Artenvielfalt und die Verjüngungsfreude des Schlosswaldes sind ein Garant dafür, dass der Schlosswald die Folgen des Klimawandels überstehen wird. Veränderungen in der Arten¬zusammensetzung sind allerdings zu erwarten.
Schloss und Schlosswald
Die enge Vernetzung des Schlosswaldes mit dem Schloss Hungen (März-, Juni- und Novemberbild) schafft zusätzliche Strukturen, die zu einer Erhöhung der Artenvielfalt führen. Das Schloss bietet Brutraum und Unterschlupf für Fledermäuse, Turmfalken (Juli- und Oktoberbild), zahlreiche Meisenarten, Rotschwänzchen und vielen mehr. Besonders Kleiber sind hier ständig aktiv, die Samen in Mauerritzen verstecken und somit zum Bewuchs der Mauern beitragen. Auch der Mäusebussard hat im Schlosswald sein Jagdrevier. Er profitiert von den Bahnschienen, auf denen er Nagetiere erbeuten kann.
Die Blindschleiche fühlt sich im Kompostbereich des Schlosses sehr wohl. Auf den verfallenen Mauerresten der Stadtmauer leben Waldeidechsen.
Der Fuchs frisst gerne die heruntergefallenen Vogelkirschen im Schlossgarten. Im Waldrandbereich wachsen mit seiner Hilfe verstärkt junge Kirschbäume.
Schloss und Schlosswald bilden eine Einheit, die sich positiv auf die Biodiversität auswirkt.
Charakterarten des Schlosswaldes
Einige Pflanzen- und Tierarten sind von besonderer Bedeutung für die Artenvielfalt im Schlosswald. An erster Stelle ist hier der alte Efeubewuchs an Bäumen und Mauern zu benennen. Bienen und Schwebfliegen profitieren von der Blüte des Efeus im Herbst. Ab dem Monat März sind es zahlreiche Vogelarten, die sich über mehrere Wochen hinweg fast ausschließlich vom Efeu ernähren. Zu nennen sind hier beispielhaft Amsel und Singdrossel (Augustbild), Ringeltaube und Star. Die Mönchsgrasmücke beendet seit einigen Jahren ihren Winterurlaub im Süden früher, um auch an der Efeubeerenernte teilzunehmen. Nordische Rotdrosseln (Februarbild) legen auf den Vogelzug eine dreiwöchige Reisepause ein, um sich vor der Weiterreise zu stärken. Trotz seiner wichtigen Funktionen im Schlosswald ist der alte Efeubestand stark gefährdet. Baumschützer durchtrennen häufig Efeustränge, ohne zu ahnen, was sie damit bewirken.
Im zeitigen Frühling steht der Schlosswald in voller Blüte. Besonders ins Auge fallen die gelbgrüne Blüte des Spitzahorns und die violette Blüte des Lerchensporns (März- und Maibild).
Ebenfalls zu den Charakterarten des Schlosses zählen die Spechtarten. Sie schaffen Höhlen und somit Unterschlupfmöglichkeiten für viele Fledermaus- und Vogelarten. Am häufigsten sind hier der Bunt- und der Grünspecht (April- und Septemberbild). Aber auch die selteneren Grau- und Mittelspechte wurden bereits im Schlosswald gesichtet.
Die Vogelwelt des Schlosswaldes
Ein herausragendes Merkmal des Schlosswaldes ist die außergewöhnlich große Vielfalt in der Vogelwelt. Bei den Vögeln darf der Pirol auf keinen Fall vergessen werden. Er ist jeden Sommer ein regelmäßiger Gast im Schlosswald. Seinen flötenden Gesang hört man bis auf den Marktplatz von Hungen. Zu sehen ist er dagegen recht selten, da er sich hoch oben in den Baumkronen aufhält.
Auch im Winter wird der Schlosswald von einigen sehr hübschen Gästen besucht. Neben den immer in Gruppen auftretenden Schwanzmeisen, gehört auch das Sommergoldhähnchen (Januarbild) dazu.
Wo viele Vögel sind, da gibt es auch Räuber. Dies sind im Schlosswald Habicht und Sperber. Während der Sperber ein gefährlicher und erfolgreicher Jäger von Drossel und Taube ist, versucht der Habicht auch mal, die Beute dem Sperber abzuluchsen.
An Krähenvögeln sind Eichelhäher, Elster, Rabenkrähe und Kolkrabe im Schlosswald vertreten.
Häufig vorkommende Kleinvögel sind Zaunkönig, Zilpzalp und Baumläufer. Das Rotkehlchen (Dezemberbild) ist das ganze Jahr über zu sehen. Es ist sehr zutraulich. Wenig bekannt ist, dass das Rotkehlchen einer unserer vielseitigsten Sänger ist, wobei jedoch viele Töne vom menschlichen Ohr nicht wahrgenommen werden können.
Höhepunkt des Jahres
Eines der schönsten Erlebnisse im Schlosswald kann man in lauwarmen Nächten im Juni und Juli erleben. Dann erleuchten die Glühwürmchen den Schlosswald. Eine wichtige Indikatorart. Aufgrund ihrer vielfältigen ökologischen Ansprüche weist das Glühwürmchen (eine Käferart) auf ein intaktes Ökosystem hin. Lichtverschmutzungen und überzogene Ordnung gefährden diese Käferart. Solange die Käfer im Schlosswald leuchten, kann davon ausgegangen werden, dass das Ökosystem noch in Takt ist, auch wenn wesentliche Veränderungen im Zuge des Klimawandels zu erwarten sind.
Fotos und Text zum Schlosskalender 2021 von © Thomas Ullrich, Schloss Hungen