Rote Kehlen und rote Schwänze im Schlossgarten – Jahreskalender 2022 mit Fotographien

Der Schlossgarten in Hungen ist sehr vielfältig. Neben Rasen- und Beetflächen gibt es Bereiche mit Sträuchern, Bäumen und alten Mauern. In Verbindung mit dem angrenzenden, strukturreichen Schlosswald ergeben sich damit günstige Voraussetzungen für eine artenreiche Vogelwelt.

Neben zahlreichen Meisen sind es vor allem Drosselarten, die im Schlossgarten anzutreffen sind. Von diesem fallen besonders das Rotkehlchen und die Rotschwänzchen auf. Durch die roten Federn und ihr zutrauliches Verhalten, sind sie kaum zu übersehen.

Das ganze Jahr über sind Rotkehlchen im Schlossgarten zu finden (Titelbild und Monats- blätter 1, 7, 11 u. 12). Besonders im Winter, wenn andere Drosselarten im fernen Süden überwintern, fallen sie im Garten durch ihre roten Kehlen und ihrem Gesang auf. Aufmerksame Beobachter bemerken dann, dass die Rotkehlchen im Winter wesentlich zutraulicher sind als im Sommer. Beim Rotkehlchen handelt sich um einen sogenannten Teilzieher. Brutvögel aus dem Schlossgarten ziehen im Herbst in den Süden und werden durch Zuzügler aus Nordeuropa ersetzt, die keine Furcht vor dem Menschen haben. Die Unterschiede im Verhalten lassen sich somit durch das Zugverhalten des Rotkehlchens erklären. Dass es sich im Winter um andere Vögel als im Sommer handelt, fällt jedoch meist nicht auf, da abgesehen von seltenen Ausnahmen, die Vögel gleich aussehen. Gelegentlich kann man jedoch auch mal einen Vogel sehen, der durch seine außergewöhnliche Federfärbung auffällt. So das Rotkehlchen im Monatsbild 11, das nicht nur weiße Federn auf dem Rücken hat, es verfügt zusätzlich noch über weiße Schwung- und Schwanzfedern. Wenn es auffliegt, erscheinen die weißen Federn wie kleine Lichtblitze.

Im Gegensatz zum Rotkehlchen sind die Rotschwänzchen echte Zugvögel, die im Winter in wärmere Gegenden ziehen. Der Hausrotschwanz, ein eng mit dem Menschen verbundener Kulturfolger, zeigt in den letzten Jahren allerdings erste Anpassungen an die Klimaerwärmung. Einzelne Vögel überwintern in der Nähe größerer menschlicher Gebäude (z.B. Supermärkte), wo sie sich Aufwärmen und noch Futter finden. In Hungen konnten bereits im Gebiet der Molkerei überwinternde Rotschwänzchen beobachtet werden.

Mythos Vogelzug, Verwandlung von Vögeln
Die Geheimnisse des Vogelzuges im Herbst und Frühling konnten erst durch die Beringung von Vögeln in den vergangenen 150 Jahren wissenschaftlich geklärt werden. Mit Hilfe von Sendern an Vögeln sind in den vergangenen 20 Jahren weitere Erkenntnisse dazu gekommen. Zuvor bildeten sich Mythen um den Vogelzug. Eine solche Geschichte ist der Glaube, dass sich die Rotschwänzchen des Sommers im Herbst in Rotkehlchen verwandeln würden, die dann im Frühling wieder zu Rotschwänzchen werden. Dieses Märchen wird auf Aristoteles zurückgeführt, der von einer Verwandlung des Rotkehlchens berichtete. Die Namen die Aristoteles dabei verwendete, benutzte sehr viel später Linné für die wiss. Bezeichnung vom Rotkehlchen und Rotschwänzchen. Da Aristoteles seine beobachtete Verwandlung nie korrekt beschrieben hat, könnte er auch die Verwandlung eines Jungvogels in einen Altvogel gemeint haben, da beim Rotkehlchen nur die Altvögel über eine rote Kehle verfügen. Wohlmöglich wurde er somit ungewollt zur Quelle einer Geschichte, die über Jahrhunderte hinweg die Phänomene des Vogelzuges erklärte.

Während das Rotkehlchen nur mit einer Art im Schlossgarten vertreten ist, treten die Rotschwänzchen in zwei Arten auf. Zunächst ist hier der Hausrotschwanz (Monatsbilder 2, 4, 5, 6, 8 u. 9) von Interesse, der in jedem Jahr anzutreffen ist. Deutlich zu erkennen ist das schwarzgrau gefärbte Männchen (Bild 4). Als Brutplätze werden gerne Nischen in Hauseingangsbereichen genutzt.

Der Gartenrotschwanz ist demgegenüber viel auffälliger gekleidet. Das farbenprächtige Männchen (Monatsbild 3 u. 10) ist allerdings nicht jedes Jahr im Schlossgarten anzutreffen. Da Gartenrotschwänzchen aufgelichtete Wälder mit vielen Insekten lieben, halten sie sich aktuell gerne in den vom Klimawandel geschwächten Wäldern auf und kommen daher seltener in die Gärten.

Sowohl das Rotkehlchen wie auch die Rotschwänzchen haben ein sehr ausgeprägtes Revierverhalten. Wenn sie ein geeignetes Revier gefunden haben, bleiben sie diesem eine Brutsaison treu und verteidigen es mit allen Kräften. Besonders aggressiv sind dabei die männlichen Rotkehlchen, die selbst ihr eigenes Spiegelbild in einer Fensterscheibe angreifen. Bei den Rotschwänzchen verteidigen auch die Weibchen das Revier. Der an den Menschen besonders gut angepasste Hausrotschanz hat es zudem gelernt, mit Hauskatzen erfolgreich zusammen zu leben. Durch vielfältige Ablenkmanöver schützt er seine Jungvögel (Monatsbild 5 u. 9) vor den Katzen, die häufig genervt vom Spektakel des Altvogels sich dezent zurückziehen.

Das Rotkehlchen gehört zu den eindrucksvollsten Sängern unter den Singvögeln. Es singt nahezu das ganze Jahr hindurch. Der Gesang ist dabei noch deutlich vielseitiger als der Gesang der Nachtigall. Allerdings können wir Menschen nur einen Teil davon hören. Die Töne des Rotkehlchens sind oft so hoch, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen. Ganz anders sieht es beim Hausrotschwanz aus. Dieser gibt ganz früh in der Dämmerung kratzend quietschende Töne von sich, die nicht zu überhören sind. Auch der Gartenrotschwanz ist ein Frühaufsteher, dessen Gesang allerdings deutlich besser ist als beim Hausrotschwanz.

Gefährdung von Rotkehlchen und Rotschwänzchen
Rotkehlchen und Hausrotschwanz kommen bei uns noch recht häufig vor. Der Gartenrotschwanz ist da schon etwas seltener. Alle drei Arten leiden unter einen zunehmenden Lebensraumverlust. Als Ursachen dafür sind beispielhaft zu benennen, die Wohnraum- verdichtung in den Ortschaften, die Zunahme von versiegelten Flächen und Steingärten, die Abnahme von Heckenlandschaften und die Sanierung von Gebäuden, wodurch Brutplätze in Nischen verloren gehen. Auch der vielfach angepflanzte Kirschlorbeer bietet keinen Ersatz für Hecken aus heimischen Pflanzen wie Hainbuche oder Feldahorn.

Demgegenüber können wir das Lebensraumangebot verbessern durch wilde, unaufgeräumte Gartenecken, eine stärkere Gliederung des Gartens durch Heckenpflanzen und zusätzliche Brutkästen für Rotschwänzchen. Davon würden dann auch noch weitere Tierarten profitieren, wodurch unsere Gärten bunt und vielfältig bleiben. Somit kann jeder seinen persönlichen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität im eigenen Garten leisten.

© Fotos und Erläuterungen zum Schlosskalender 2022 von Thomas Ullrich, Schloss Hungen